Endlos

Winter

Es war kalt, deutlich über den Gefrierpunkt krochen die Temperaturen selbst am späten Vormittag nicht. Die aufgewühlte Nordsee erstreckte sich bis zum Horizont und die feinen Körner, die überall hin kamen, würden mich noch Tage später an den kurzen Trip erinnern. Ich war seit Portugal nicht mehr nass geworden und doch war es in Ordnung nur hier zu stehen und auf das Meer zu schauen. Kein Fischerboot hatte den Hafen verlassen und auch sonst verriet niemand in den Dörfern des Nordwestens, dass auch im Winter Menschen hier lebten und surften. Wir fanden die lange, einsame Linke, die ich noch nördlicher vermutet hatte. Schon vom Hügel, der etwas landeinwärts gelegen war, erhob sie sich majestätisch aus der sturmgepeitschten See. Mit der starken Strömung, unseren untrainierten Armen und dem dicken Neopren würden wir uns niemals an der richtigen Stelle im Line Up halten können. Doch es reichte schon echte Wellen zu sehen, trotz der Kälte die salzige Luft zu schmecken und dort draußen zu sein.


Flow

Irgendwo zwischen Schottland, Island und Norwegen hatte ein Sturm den Nordatlantik aufgewühlt und ein scheinbares Chaos aus übereinander stürzenden Wellen hervorgerufen. Der Sturm zog weiter nach Nordosten, während seine Wellen sich bis hinein in die Nordsee schoben, sich und ihre Kraft zusammenfanden und zu klaren Linien wurden. Es ist genau das, worauf Surfer an allen Küsten warten. Wellen von weit her und ein schwacher ablandiger Wind vor Ort. Für uns ist es die seltene Abwechslung von lokalen Stürmen und schwachen Wellen in unruhiger See. Mit 300 Kilometern vor uns bepackten wir den alten Bus noch in der Dunkelheit. Mit einem vertrauten Hoffen und Bangen gingen wir auf die lange Fahrt, in den Gedanken und Gesprächen nur bei dem was kommen mag. Wir erzählten uns immer wieder von den schönsten Trips, den Wellen, die in der Erzählung immer größer und besser wurden und den größten Enttäuschungen. Als gäbe es nichts als uns und diese Wellen.

Die Wellen waren kraftvoll und schön, nur ein paar Kabbelwellen trübten das Bild der perfekten Welle. Doch auch die werden mit der Zeit aus der Erzählung verschwinden.


Ausverkauf

Ich weiß nicht, wann dieser ganze Wahnsinn angefangen hat. Ich glaube, es war schon immer so, andere geben auch uns die Schuld. An den langen Wochenenden im Frühjahr brechen mehr Menschen an unsere Küsten auf als in den Sommerferien. Surfen oder das, was die Leute dafür halten, ist zum Allgemeingut geworden. Jede und jeder mit der ich spreche, erzählt mir, dass auch sie ja schon mal surfen waren. Damals in Australien, letzten Sommer in Frankreich oder an Ostern in Klitmøller. Insgeheim hoffen wir alle, dass surfen wieder uncool wird, doch die Diskussion um Überfüllung, Ausverkauf und die guten alten Zeiten kenne auch ich schon seit 15 Jahren. Sie war immer schon die gleiche. Auch am langen Wochenende reichte bloß der Blick nach rechts oder links: Eine Sandbank, ein sauberer, kleiner Nordseeswell, ein Frühstück einsam am Strand und danach ein paar Wellen, fast ganz allein für uns.


Neuland

Um auf der Nordsee gute Wellen zu finden, sind Flexibilität und Leidensbereitschaft entscheidend. Wellen- und Wettervorhersage verändern sich auch 2019 ständig, teils sogar stündlich. Was eben noch perfekt aussah, ist jetzt schon unsurfbares Chaos. Was vorher den Aufwand an Zeit und Geld nicht lohnend erschien, ist schnell ein vor Webcam und Instagram verschwendeter Tag im Büro. Eine äußert ungewöhnliche Vorhersage versprach einen Sturm über einem Großteil der Nordsee, nur ein schmaler Küstenstreifen, den wir nie zuvor besucht hatten, sollte verschont bleiben. Am Abend fuhren wir in unserem rostigen Bus bereits an die Küste. Wir beobachteten die Boote, wie sie noch kurz vor Mitternacht im Schein der nördlichen Sonne durch die aufgepeitschten Wellen schaukelten. Wir checkten ein paar Molen, doch der noch herrschende Wind ließ keine surfbar brechende Welle entstehen. Der nächste Morgen verlieh uns das Gefühl einer fremden, weit entfernten Küste. Noch nie hatten wir hier nach Surf gesucht, fanden großartige Aussichtsplätze und verschlafene kleine Ferienorte. Nur gute Wellen fanden wir nicht. Erst einige Kilometer weiter, am einzigen halbwegs bekannten Spot der Region brachen Wellen bei Windstille, die es wert waren, gesurft zu werden. Mit einer handvoll Locals im warmen Wasser war es dennoch großartig.


Vom Glück

Für mich ist Surfen unteilbar mit der Angst verbunden, etwas zu verpassen. Schlimmer als nur die zweit- oder drittbesten Wellen des Tages gefunden zu haben, ist nur Zuhause auf der Webcam live die verpassten Wellen anzuschauen. Gerade auf Familie oder Freunde mag das anstrengend und angestrenkt wirken. Wir hetzen von einem zum anderen Spot, nach einem kurzen Sprint auf die Düne sitzen wir bereits wieder im Auto. Die Angst, der Wind könnte doch früher einsetzen, der Swell an Kraft verlieren ist immer dabei. Kurz nach unserer Ankunft am Abend zuvor hatten wir uns bereits in die erstbesten Wellen geworfen und waren mit dem breitesten Grinsen nach Sonnenuntergang aus dem Wasser gekommen. Jetzt, am Morgen danach, waren wir bereits wieder auf der Suche. Ich haderte mit der Entscheidung. Jetzt hier ins Wasser oder noch einmal weiterfahren? Wenn dort nichts ist, werden wir bald schon zu spät sein. Doch wir waren goldrichtig, kopfhohe, kraftvolle und leere Wellen brachen über der Sandbank. Keine Zeit für Fotos, rein da!


Zuhause

Zuhause, an der Ostsee, brechen die Wellen so selten, dass sich eher Dänemark wie unser Surf- Zuhause anfühlt. Trotzdem ist es eines der besten Gefühle, die ich kenne. Die Vorfreude, wenn schon einige Tage zuvor, mitten im heißen Hochsommer ein starker Ostwind in den Vorhersagen erscheint. Lauwarmes, kaum salziges Wasser, schwache windverblasene Wellen und ein Longboard. In den Wellen rutschen, am Strand in des Sonne liegen, Eis essen und wieder surfen. Alles, was es braucht zum Glücklichsein.